whatif-Interview: Sabine Nallinger

whatif-Interview: Ein Gespräch mit Sabine Nallinger

2024 haben wir unseren ersten whatif-Report veröffentlicht. Das Papier zeigt auf, was wäre, wenn die DAX-Unternehmen Deutschlands ihre Klimaziele erreichen würden – gemessen direkt in °C. Ab 2025 gehen wir einen Schritt weiter und analysieren die Klimastrategien sämtlicher DAX-Unternehmen. In lockerer Reihenfolge diskutieren wir die Ergebnisse unserer Analyse sowie die daraus folgenden Schlussfolgerungen mit renommierten Expertinnen und Experten.

In unserem neuesten Interview spricht Hannah Helmke mit Sabine Nallinger. Sie ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft, einer Initiative klimapolitischer Führungskräfte. Von 2008 bis 2020 betreute sie im Münchener Stadtrat energie-, stadtentwicklungs- und verkehrspolitische Themen für Bündnis 90/Die Grünen. Zudem ist sie Aufsichtsratsmitglied bei der sustainable AG und engagiert sich im Fachbeirat des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) sowie im Beraterkreis der Fraport AG.

Hannah Helmke  spricht mit ihr über die Notwendigkeit eines klaren politischen Kurses, der Unternehmen ermöglicht, die erforderlichen Großinvestitionen für eine klimafreundliche Wirtschaft zu tätigen. Gleichzeitig betont Sabine Nallinger, wie wichtig gesellschaftlicher Druck ist, um nachhaltige Veränderungen auch in komplexen Unternehmensstrukturen zu initiieren. Gemeinsam mit engagierten Unternehmern, einer aktiven Zivilgesellschaft und einem starken Europa sieht sie den Weg in eine klimaneutrale Zukunft.

 

Sabine, welche Themen bestimmen gerade deinen Arbeitsalltag in der Stiftung KlimaWirtschaft?

Momentan stehen vor allem die politischen Entwicklungen im Fokus. Seit der letzten Wahl beobachten wir mit Spannung, welche Programmatik die neue Bundesregierung verfolgt. Zudem haben wir erkannt, dass zahlreiche Branchen, die früher als optimal aufgestellt galten, inzwischen ins Stocken geraten sind – ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein umfassender Kurswechsel nötig ist, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

 

Viele Unternehmen nutzen eure Plattform, um ihre Botschaften an die Politik zu bringen. Siehst du hier eine große Chance oder beobachtest du eher Zurückhaltung?

Im täglichen Austausch mit Unternehmerinnen und Unternehmern unterschiedlichster Größen und Branchen höre ich immer wieder, dass sie Verantwortung in ihrer Region übernehmen wollen. Es beeindruckt mich, wie immer mehr Wirtschaftslenkerinnen und -lenker begreifen, dass sie nicht nur wirtschaftliche Kennzahlen liefern, sondern auch gesellschaftlich eine bedeutende Rolle spielen. Das ist eine sehr positive Entwicklung.

Es beeindruckt mich, wie immer mehr Wirtschaftslenkerinnen und -lenker begreifen, dass sie auch gesellschaftlich eine bedeutende Rolle spielen.

Du erwähnst oft die BBUG, die Baden-Badener Unternehmer Gespräche, als Beispiel – die Institution, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Hat sich die Rolle von Unternehmen im gesellschaftspolitischen Diskurs verändert?

Früher agierten Unternehmen in gesellschaftspolitischen Fragen noch zurückhaltend. Institutionen wie die BBUG wurden geschaffen, um Führungskräfte für gesellschaftliche Aufgaben zu sensibilisieren. Heute beteiligen sich Unternehmen aktiv und engagiert an politischen Diskussionen. Diese Entwicklung zeigt, dass sich ihre Rolle grundlegend gewandelt hat: weg von defensiven Akteuren hin zu progressiven Gestaltern, die Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft übernehmen.

 

Aber trotzdem ziehen viele Unternehmen ihre Klimaziele wieder zurück. Wie erklärst du diesen Widerspruch?

Das Hauptproblem liegt in der politischen Unsicherheit. Unternehmen wissen oft nicht, woran sie konkret sind, da ständig neue Gesetzesentwürfe diskutiert und wieder verworfen werden. Diese mangelnde Planungssicherheit vermittelt den Eindruck, dass die gesetzten Klimaziele unflexibel und nicht gut durchdacht sind. Ambitionierte Ziele sind prinzipiell wichtig – sie müssen jedoch von einem klaren und stabilen politischen Rahmen unterstützt werden, damit sie auch realisierbar sind.

 

Unser whatif-Report zeigt, dass die 40 größten DAX-Unternehmen mit ihren aktuellen Zielen im Schnitt zu einer 2,3‑Grad-Erwärmung beitragen – weit entfernt von dem 1,5‑Grad-Ziel. Wie siehst du dieses Ergebnis?

Das Ergebnis ist ein deutlicher Weckruf. Es wird klar, dass das reine Festlegen von Klimazielen nicht ausreicht. Es bedarf eines rasanten Tempos bei den Investitionen und der konsequenten Umsetzung eines stabilen politischen Kurses. Nur so können wir vermeiden, ständig den Transformationsprozess anpassen zu müssen und tatsächlich den notwendigen Fortschritt erzielen.

Das reine Festlegen von Klimazielen reicht nicht aus.

Du hebst auch den Einfluss von gesellschaftlichem Druck hervor. Wie wichtig sind der öffentliche Diskurs und das Engagement der Zivilgesellschaft, um diesen Wandel voranzutreiben?

Gesellschaftlicher Druck ist essenziell. Große Konzerne operieren häufig in komplexen Gremien, in denen Veränderungen nicht schnell genug umgesetzt werden. Erst wenn die Öffentlichkeit aktiv mitredet und kontinuierlich Druck ausübt, können diese Strukturen in Bewegung geraten. Eine gemeinsame Sprache ist dabei der Schlüssel, um allen Beteiligten die Dringlichkeit eines konsequenten Wandels klarzumachen.

Erst wenn die Öffentlichkeit aktiv mitredet und kontinuierlich Druck ausübt, können Strukturen in Bewegung geraten

Welche Rolle kann hier der europäische politische Raum spielen?

Europa muss stärker zusammenwachsen. Ein gutes Beispiel ist Airbus: Hier bündeln mehrere Nationen ihre Stärken, um global konkurrenzfähig zu bleiben. Auch im Energiesystem braucht es einen europäischen Ansatz – sei es beim Netzausbau oder der Verteilung von grünem Wasserstoff. Nur so können wir gegenüber den massiven Subventionen in den USA und China bestehen. Gemeinsame europäische Projekte und Synergien sind entscheidend, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Ohne den Innovationsgeist und das Engagement der jungen Generation wäre der notwendige Wandel undenkbar.

Ein letzter Punkt: Was macht dich persönlich zuversichtlich, dass wir die Herausforderungen der Transformation meistern können?

Meine Zuversicht schöpfe ich vor allem aus der Haltung der Unternehmen, die trotz aller Unsicherheiten weiterhin am Thema Klima festhalten. Ebenso optimistisch bin ich, weil die junge Generation entschlossen für ihre Zukunft kämpft. Ohne ihren Innovationsgeist und ihr Engagement wäre der notwendige Wandel undenkbar. Sie werden auch in Zukunft den entscheidenden Anstoß für Veränderungen geben.

Zum whatif-Report 2024: https://right-basedonscience.de/reports/whatif-2024/

Auch im Jahr 2025 bieten wir einen monatlichen offenen Austausch zu XDC über die Online-Terminserie °Clarity an. Mehr Informationen hier – wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

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