whatif-Interview: Maja Göpel

whatif-Interview: Ein Gespräch mit Maja Göpel

2024 haben wir unseren ersten whatif-Report veröffentlicht. Das Papier zeigt auf, was wäre, wenn die DAX-Unternehmen Deutschlands ihre Klimaziele erreichen würden. Wir haben die Klimawirkung dieser Unternehmen analysiert und vergleichbar gemacht – direkt in °C. Ab 2025 gehen wir einen Schritt weiter und analysieren die Klimastrategien sämtlicher DAX-Unternehmen.

In loser Reihenfolge diskutieren wir die Ergebnisse unserer Analyse und die daraus folgenden Schlussfolgerungen mit renommierten Expertinnen und Experten.

Unsere erste Gesprächspartnerin ist Maja Göpel, Professorin für Nachhaltigkeitstransformation an der Leuphana Universität Lüneburg. Maja ist promovierte Politökonomin und ist seit mehr als 25 Jahren als Expertin für Transformation und Nachhaltigkeitswissenschaft tätig. Mit einem Schwerpunkt auf transdisziplinärem Denken hat sie sich auf die Wissenschaftskommunikation spezialisiert und beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, mit welchen Narrativen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation hin zu den Pariser Klimazielen vorangetrieben werden kann.

Hannah Helmke sprach mit ihr darüber, wie Unternehmenslenker zum Handeln bewegt werden können, wie die Wirtschaft für die Klimaziele mobilisiert werden kann und welche Chancen die notwendige kulturelle und wirtschaftliche Transformation für Europa und Deutschland birgt.

Als Industrienation, die dadurch ganz besonders gefordert ist, hätten wir bewiesen, dass Transformation nicht nur machbar, sondern auch wünschenswert ist.

Maja, was wäre, wenn die Speerspitze der deutschen Wirtschaft ihre Klimaziele erreichen würde? Was ist dein Bild dieses Szenarios?

Ich stelle mir dabei zwei Bilder vor: Ein bildhaftes und ein emotionales. Bildhaft sehe ich Regionen vor mir, die sich zu „Zero Valleys“ entwickelt hätten. Das wären Orte, an denen Unternehmen systemisch zusammenarbeiten, sich in Clustern organisieren und Technologien wie künstliche Intelligenz und Digitalisierung sowie Nature-Based Solutions miteinander verbinden. Diese Regionen wären Vorzeigeprojekte, die international Beachtung finden – Lernorte für eine nachhaltige Zukunft.

Das würde mich und bestimmt auch viele andere tatsächlich auch stolz machen. Als Industrienation, die dadurch ganz besonders gefordert ist, hätten wir bewiesen, dass Transformation nicht nur machbar, sondern auch wünschenswert ist. Das wäre ein Wendepunkt, ein Signal an die Welt: Wir können Wandel gestalten. Und dieser Stolz ist der dringend benötigte emotionale Impuls. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, wir brauchen ein Fortschrittsnarrativ, die auch emotional und durchaus positiv bewegen kann – Zahlen und Erzählungen gehen da Hand in Hand.

Die Technologien können ihren Beitrag nur leisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Du sprichst von Technologien wie KI und Digitalisierung. Sind diese weit genug, den Wandel zu begleiten?

Die Technologien können ihren Beitrag nur leisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Aktuell gibt es noch viele Hürden – von Genehmigungsverfahren, die zu lange dauern, bis hin zu unzureichenden Infrastrukturen. Besonders die Digitalisierung könnte eine vernetzende Schlüsselrolle spielen: Sie ermöglicht effizientere Prozesse, bessere Ressourcennutzung und automatisierte, datenbasierte Entscheidungen. Aber ohne passende politische Weichenstellungen drohen wir, auf Leuchtturmprojekten sitzen zu bleiben.

„Endlich können wir das ganze Thema wieder loswerden und zurück zum ,Business as usual.’“

Deutschland steuert auf wirtschaftlich sehr herausfordernde Jahre mit einer neuen Regierung zu. Wird es in diesem Umfeld für DAX-Unternehmen in den kommenden Jahren schwieriger oder einfacher werden, ihre Klimaziele umzusetzen?

Das kommt darauf an. Ich denke, dass sich in dieser Zeit die Spreu vom Weizen trennen wird. Es gibt Unternehmen, die diese Phase nutzen, um sich von Klimazielen zu distanzieren – nach dem Motto: „Endlich können wir das ganze Thema wieder loswerden und zurück zum ,Business as usual.’“

Aber auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die verstanden haben, dass Klimapolitik keine kurzfristige Modeerscheinung ist, sondern Reaktion auf eine fundamental neue Realität mit Risiken, aber auch Chancen.

Ich glaube also, wir stehen jetzt an einem Wendepunkt. Es wird sichtbar werden, wer es ernst meint.

 

Wie schätzt du die Innovationskultur in Deutschland ein? Haben wir alles, was es braucht, um Unternehmen in ihrer Transformation zu unterstützen?

Deutschland hat viele kreative Köpfe und eine wachsende Bereitschaft, drängende Probleme wie die Klimakrise anzugehen. Besonders ermutigend ist, dass Umwelt- und Klimafragen für viele Gründerinnen und Gründer eine hohe Priorität haben. Gleichzeitig sehen wir aber, dass unsere Erfolgsdefinitionen oft noch auf veralteten Metriken beruhen. Venture Capital wird häufig so eingesetzt, dass nur schneller finanzieller Return zählt. Damit bekommen wir zwar einige Klimatechnologien auf den Weg, aber Lösungen, die langfristig Mehrwert schaffen, wie Nature-Based Solutions, bleiben oft auf der Strecke.

Es ist daher entscheidend, besser sichtbar zu machen, wenn Unternehmen durch die Beachtung sozialer und ökologischer Ergebnisse echten Mehrwert schaffen – auch, wenn das länger dauert.

 

Du sprichst über langfristige Perspektiven. Welche Rolle spielen rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen?

Unternehmen brauchen Planungssicherheit, und das setzt klare Regeln und Vorgaben voraus. Aber wir sehen immer wieder, dass nur einzelne Aspekte angegangen werden oder  sich konterkarierende Anreize vorliegen. Ein Beispiel ist der CO2-Preis: Er ist ein wichtiges Instrument, um Emissionen zu reduzieren, aber er reicht allein nicht aus. Wir müssen auch die Rahmenbedingungen für Dekarbonisierung in anderen Bereichen schaffen – von der öffentlichen Beschaffung bis hin zu Baunormen.

Unser Vertrauen in Nachhaltigkeitskommunikation wird untergraben, wenn Unternehmen ihre Emissionen nicht entlang des angekündigten Reduktionspfads senken, aber das dennoch als Erfolg darstellen.

Das passt gut zu den Ergebnissen unseres whatif-Reports. Er zeigt, dass viele Unternehmen ab dem Basisjahr ihrer Klimaziele oft nicht die jährlich festgelegten Reduktionsraten einhalten.

Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen hätte es, wenn die Mehrheit der DAX-Unternehmen ihre Ziele zwar kommuniziert, aber letztendlich nicht umsetzt – vergleichbar mit der Unverbindlichkeit, die wir auch in der Politik beobachten?

Die Diskrepanz zwischen kommunizierten Klimazielen und deren tatsächlicher Umsetzung ist ein großes Problem. Unser Vertrauen in Nachhaltigkeitskommunikation wird untergraben, wenn Unternehmen ihre Emissionen nicht entlang des angekündigten Reduktionspfads senken, aber das dennoch als Erfolg darstellen.

Langfristig sehe ich zwei Hauptgefahren: Erstens könnte Deutschland als Wirtschaftsstandort bei der Technologierevolution zurückfallen. Wenn wir unsere Reduktionsziele nicht ernsthaft verfolgen, werden Märkte für klimafreundliche Technologien und Dienstleistungen von anderen Ländern dominiert. Man sieht das schon in der Solarindustrie und jetzt der Elektromobilität.

Zweitens: Das Vertrauen in politische und wirtschaftliche Institutionen könnte so stark erodieren, dass die Handlungsfähigkeit auf vielen Ebenen gefährdet ist. Wenn Ziele kommuniziert, aber ein Nichterreichen ohne größeren Kommentar hingenommen wird, warum sollten andere Akteure noch konsequent handeln? Das ist insbesondere bei einer so grundlegenden Herausforderung absolut verheerend für das Grundvertrauen in der Gesellschaft.

Deshalb könnte eben Stolz eine zentrale Rolle spielen. Wer Transformation ernsthaft vorantreibt, kann sich in einer Führungsposition auch als jemand präsentieren, der den Unterschied macht – jemand, die zeigt, dass große Herausforderungen gemeistert werden können.

Der Erfolg der Transformation hängt oft von mächtigen Personen ab, sei es in der Politik oder in den Vorstandsetagen großer Unternehmen. Macht wird jedoch häufig durch ein „Nein“ ausgedrückt, weniger durch ein „Ja“. Welche Argumente können Menschen mit einem stark ausgeprägten Machtbedürfnis für die Transformation erreichen?

Das ist eine wirklich spannende Frage. Wenn wir über das Bedürfnis nach Macht sprechen, steckt dahinter oft der Wunsch, gesehen zu werden, Einfluss auszuüben und relevant zu sein. Es geht darum, sich zu beweisen und eine Bedeutung zu haben. Deshalb könnte eben Stolz eine zentrale Rolle spielen. Wer Transformation ernsthaft vorantreibt, kann sich in einer Führungsposition auch als jemand präsentieren, der den Unterschied macht – jemand, die zeigt, dass große Herausforderungen gemeistert werden können.

Ein weiteres Argument könnte der Schutzinstinkt sein, der oft unterschätzt wird. Während der Hochphase von Fridays for Future sahen wir, wie mächtige Persönlichkeiten plötzlich von ihren eigenen Kindern am Frühstückstisch mit der Frage konfrontiert wurden: „Was machst du eigentlich für unsere Zukunft?“ Dieses Momentum hatte etwas stark Verbindendes, eine Art moralische Verpflichtung gegenüber der nächsten Generation. Es müsste wieder stärker betont werden, dass es um Zeitlichkeit geht – um die Verantwortung gegenüber denjenigen, die nach uns kommen. Aber eben zunehmend auch um unser zukünftiges Selbst.

Europa bietet hier eine weitere interessante Perspektive. Der Kontinent steht in einer Weltordnung, die zunehmend vom Ringen der Großmächte USA und China dominiert wird, unter erheblichem Druck. Eine konsequente Nachhaltigkeitstransformation könnte Europa die Möglichkeit geben, sich als technologischer und wissensbasierter Vorreiter zu positionieren, aber eben auch die strategische Unabhängigkeit eines ressourcenarmen Kontinents steigern.

Es geht also darum, die Stabilität und die Versorgungssicherheit, die Europa aufgebaut hat, in eine unsichere Zukunft zu überführen. Für viele Entscheidungsträger könnte genau diese duale Motivation – die Herausforderung, etwas Großes zu schaffen, und die Verantwortung, etwas Wertvolles zu bewahren – den entscheidenden Impuls liefern.

Dieses „Rudelverhalten“ kann eine enorme kulturelle und gesellschaftliche Dynamik freisetzen.

Wie können wir Menschen dazu bringen, wirklich Lust auf Technologieführerschaft und eine Wissensökonomie zu entwickeln? Wie weckt man die Sehnsucht danach und vielmehr: Woher kommt die Kraft, dranzubleiben?

Ein positiver Diskurs kann das nötige Momentum schaffen. Wenn wir ein Umfeld schaffen, in dem das gemeinsame Ziel – sei es Technologieführerschaft oder eine Wissensökonomie oder risikoarme und schöne Lebensräume – als geteilte Herausforderung dargestellt wird, dann wecken wir die natürliche menschliche Neugierde, das Bedürfnis nach Wirksamkeit und den Mut, der durch vertrauensbildende Kooperation wächst. Menschen wollen Teil einer Gruppe sein, besonders wenn sie sehen, dass andere bereits mitmachen. Dieses „Rudelverhalten“ kann eine enorme kulturelle und gesellschaftliche Dynamik freisetzen.

 

Genau das wollten wir auch mit dem whatif-Report anstoßen. Wir beobachten oft, dass in Unternehmen, wenn erst einmal alle am Tisch sitzen und eine gemeinsame Perspektive sehen, ein unglaublicher Antrieb entsteht. Sobald eine Lösung sichtbar wird, akzeptieren Menschen das Problem viel leichter. Sie fühlen sich nicht mehr hilflos, sondern bauen Zielstrebigkeit auf. Das, was dann an Energie und Motivation freigesetzt wird, ist beeindruckend.

Absolut! Das ist genau der Punkt. Gerade jetzt in Zeiten des Backlashes, ist es so wichtig, sich klar für vereinbarte Ziele zu positionieren und ihre Sinnhaftigkeit hochzuhalten. Dann natürlich gut zuzuhören, wo es Barrieren und Bedenken gibt – aber eben auch schlummernde Potentiale oder neue Ideen. Die sind in ganz unterschiedlichen Ecken eines Unternehmens oder einer Gesellschaft verteilt und gerade überschreien die Besitzstandswahrer die Zukunftseherinnen. Wenn wir es schaffen, die Perspektive des gemeinsamen, sinnvollen Erneuerungsprozesses zu vermitteln und die jeweiligen Beiträge der Beteiligten wertzuschätzen, dann kippt die Stimmung oft in eine sich selbst beschleunigende Dynamik. Für die müssen wir heute wieder umso mehr Stimmen erheben!

 

(c) Foto: Fotografin Anja Weber

 

Zum whatif-Report 2024: https://right-basedonscience.de/reports/whatif-2024/

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