EU-Staaten: Das 1,5 °C-Ziel ist noch weit entfernt

Die bisherigen Anstrengungen der EU-Staaten, ihre Emissionen zu reduzieren und das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, sind noch deutlich zu wenig. Das zeigt eine Auswertung der XDC-Werte (XDC steht für X-Degree Compatibility) für die 27 EU-Mitgliedsstaaten. Demnach liegen die europäischen Nationen zwischen 3,1 und 5,3 °C – dies ausgehend von der Emissionsintensität der einzelnen Länder, also der im jeweiligen Land ausgestoßenen Treibhausgase pro Einwohner, und unter der Annahme, dass sich die bisherigen Trends weiter fortsetzen (sogenanntes Baseline-Szenario). Auch wenn hier die bereits versprochenen nationalen Klimaschutzmaßnahmen („Nationally Determined Contributions“ – NDCs) noch nicht berücksichtigt sind, wird doch deutlich, wie weit der Weg noch ist bis zum Ziel, auf das die EU sich gemeinsam mit der restlichen Weltgemeinschaft 2015 in Paris verpflichtet hat: Die Erderwärmung zu begrenzen auf 1,5 oder doch zumindest deutlich unter 2 °C.

 

Für Investoren, die ihr Kapital klimagerecht anlegen wollen oder müssen, stellen Staatsanleihen damit eine Herausforderung dar.

 

Wie kommt dieses Ergebnis zustande? Unser XDC Model ermittelt die Klimawirkung von Staaten in fünf Schritten. Ausgangspunkt ist die Emissionsintensität im Basisjahr. Deren zukünftige Entwicklung wird auf Grundlage von Szenarioannahmen bis ins Jahr 2100 fortgeschrieben. Ein Abgleich mit den Benchmark- oder Dekarbonisierungspfaden, denen die Staaten jeweils folgen müssten, um das 1,5 °C-Limit einzuhalten, ergibt die Klima-Performance. Nun wird berechnet, welche Emissionsmenge ausgestoßen würde, wenn die ganze Welt es dem jeweiligen Land gleichtun würde. Im letzten Schritt wird mithilfe eines Klimamodells die Erderwärmung in Grad Celsius ermittelt, die entstehen würde, wenn besagte Emissionsmenge in die Atmosphäre gelangte.

 

Die fünf Schritte zur Länder-XDC sind im Einzelnen:

Die Szenarioannahmen für die zukünftige Entwicklung der Emissionsintensität gehen auf die Shared Socio-Economic Pathways (SSPs) zurück. In diesem Fall das SSP2, mit dem eine Fortsetzung der aktuellen Trends modelliert wird – „Business-as-usual“ sozusagen. Weitere Datenquellen sind die EORA Global Supply Chain Database sowie die Weltbank. Das Klimamodell für die finale °C-Kalkulation ist das Finite Amplitude Impulse Response Model (FaIR), welches auch im letzten Bericht des Weltklimarats (IPCC) genutzt wurde.

 

Nun ist sehr wahrscheinlich, dass es bei „Business-as-usual“ nicht bleiben wird. Alle EU-Staaten haben durch NDCs sowie politische und gesetzliche Rahmenwerke bereits Pläne zur weiteren Emissionsreduktion bekannt gegeben. Doch oft fehlt es hier noch an Detailschärfe und die (rechtzeitige) Umsetzung ist alles andere als sicher.  Zugleich sehen sich insbesondere Finanzinstitute, Fondsanbieter und institutionelle Investoren bereits heute regulatorischen Vorgaben gegenüber, die zunehmend strenge Anforderungen an die Steuerung und das Reporting von Klimarisiken und klimaschädlichen Aktivitäten stellen. Für die Assetklasse Staatsanleihen birgt das Herausforderungen, wie die XDC-Werte deutlich zeigen.

 

Klimawirkung gemäß XDC der 27 EU-Länder

Kroatien: 3,1°C Litauen: 3,7°C Bulgarien: 4,3°C
Zypern: 3,1°C Schweden: 3,7°C Österreich: 4,3°C
Rumänien: 3,5°C Ungarn: 3,8°C Belgien: 4,4°C
Spanien: 3,5°C Dänemark: 4,0°C Deutschland: 4,4°C
Lettland: 3,6°C Slowenien: 4,0°C Irland: 4,5°C
Malta: 3,6°C Finnland: 4,2°C Niederlande: 4,6°C
Portugal: 3,6°C Griechenland: 4,2°C Estland: 5,2°C
Frankreich: 3,7°C Polen: 4,2°C Tschechien: 5,2°C
Italien: 3,7°C Slowakei: 4,2°C Luxemburg: 5,3°C

 

Zur Erläuterung: Würde die ganze Welt sich so verhalten wie Deutschland – unter Berücksichtigung der bereits beschlossenen und/oder umgesetzten Klimaschutzmaßnahmen –, würde sich die Klimaerwärmung bis zum Jahr 2100 auf 4,4 °C belaufen. Hierbei ist berücksichtigt, dass industrialisierte Staaten stärker dekarbonisieren müssen als Schwellenländer. Ein Land wie Afghanistan steht entsprechend hinsichtlich Klimawirkung mit nur 1,8 °C vergleichsweise besser da als die EU-Nationen – doch die 1,5 °C-Grenze wird auch hier überschritten.

 

Wichtig ist der Hinweis, dass diese Auswertung sich auf die innerhalb der Staatengrenzen ausgestoßenen Emissionen bezieht. Die Staatsanleihen der jeweiligen Länder stehen hierfür nur stellvertretend. Doch Regierungen, als Emittenten von Staatsanleihen, kommt eine besondere Lenkungsfunktion der nationalen Wirtschaft zu. Investoren können XDC nutzen, um die Klimawirkung ihrer Multi-Asset-Portfolios zu berechnen, ihre Kapitalallokation entsprechend auszurichten und transparente, verständliche Daten zur Klimawirkung ihrer Portfolios an Aufsichtsbehörden und Stakeholder zu berichten. Wer jedoch den Anforderungen von „Paris Alignment“ – also der Vereinbarkeit von Finanzprodukten mit den Klimazielen von Paris – gerecht werden möchte, muss nach derzeitigem Stand auf andere „grünere“ Assets setzen, um die Klimawirkung von Staatsanleihen in der Gesamtbetrachtung des Portfolios zu kompensieren.

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